Osama Bin Laden: Zehn Jahre nach der Tötung des Al-Qaida-Chefs (2024)

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Osama Bin Laden: Zehn Jahre nach der Tötung des Al-Qaida-Chefs (1)

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Eine Dreiviertelstunde vor Mitternacht wundern sich die Bewohner der afghanischen Stadt Jalalabad über den jähen Fluglärm: Dröhnend ziehen Hubschrauber ostwärts vorbei in Richtung der nahen Grenze zu Pakistan. Zuvor sei es eine ruhige Nacht gewesen, erzählen sie später, ebenso nach dem Verschwinden der Hubschrauber.

Was sie hören, ist der Auftakt zum letzten, dramatischen Kapitel einer fast zehn Jahre währenden Jagd nach dem »gefährlichsten Mann der Welt«, dem »Terrorfürsten«, der als Anführer von al-Qaida die Anschläge vom 11. September 2001 auf New York und Washington verantwortete: Osama Bin Laden.

Verschwunden seit Dezember 2001, als die US-Truppen ihn aus der Bergfeste Tora Bora entkommen ließen. Gesucht seither von allen Geheimdiensten der USA und mit 25 Millionen Dollar Kopfgeld. Trotzdem wie vom Erdboden verschluckt, auch wenn gelegentliche Video- und Tonbotschaften belegen, dass er lebt.

Als der Lärm über Jalalabad in dieser Nacht zum 2. Mai 2011 verebbt, wird er noch anderthalb Stunden zu leben haben. Und er wird kein Dröhnen aus der Luft hören. Denn die beiden riesigen, zweimotorigen Chinook-Transporthubschrauber landen weit vor dem Einsatzort der Operation – als Notfallreserve, falls etwas schiefgeht.

Sehr leise und sehr tief dagegen steuern zwei erstmals eingesetzte »Tarnkappen«-Black-Hawks einen Ort an, wo man den Qaida-Chef kaum vermuten würde: die bei pakistanischen Offizieren im Ruhestand beliebte Provinzstadt Abbottabad, 50 Kilometer nördlich in den Vorbergen des Karakorum gelegen. Das Ziel der beiden Helikopter ist ein zwar fünf Meter hoch ummauertes, ansonsten eher schmuckloses, dreistöckiges Anwesen, nur einen Kilometer entfernt von Pakistans Militärakademie.

»Geronimo, Geronimo, Geronimo«

Woher die Ursprungsinformation zu Bin Ladens Aufenthaltsort stammt, ob von einem gefangen genommenen Kurier oder einem Überläufer, wird auch später unklar bleiben. Monatelang hat die CIA versucht, weitere Belege zu sammeln, bis die Fahnder sich sicher sind und die Vorbereitungen für »Operation Neptune Spear« beginnen.

Ausgerechnet in Abbottabad im Norden Pakistans hält sich Bin Laden seit 2006 auf, mit einem stetig angewachsenen Hofstaat aus Frauen, Kindern, Enkeln, aber ohne Telefon- oder Internetanschluss. Im Herzen des mit den USA verbündeten, aber seit Langem von Washington mit Misstrauen beargwöhntem Pakistan. Dessen Regierung, Militär, Geheimdienst sind nicht eingeweiht.

Als der Erste der beiden Black-Hawk-Hubschrauber über dem Anwesen in Abbottabad tiefer geht, gerät er ins Trudeln, kracht mit dem Heckrotor gegen die Mauer und legt eine Bruchlandung hin. Im Weißen Haus, wo Präsident Barack Obama und die Spitzen der US-Regierung die Operation verfolgen, wächst die Nervosität.

Die 23 Männer der geheimen »Delta Seals«-Kommandotruppe sprengen sich schließlich den Weg ins stockdunkle Haus frei. Sie töten mehrere der Bewohner auf ihrem Weg ins Obergeschoss, wo sie schließlich Bin Laden finden und erschießen.

»Geronimo, Geronimo, Geronimo«, wird per Funk durchgegeben, das Passwort für die Tötung Bin Ladens. Im Weißen Haus wird Obama sagen: »We got him.« Zwar wird es anschließend offiziell heißen, man habe Osama Bin Laden eigentlich lebend festnehmen wollen. Aber nichts spricht dafür, dass dies je Priorität hatte.

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  • Tod von Osama Bin Laden vor zehn Jahren: Ende eines Massenmörders

Bin Ladens dramatisches Ende heute vor zehn Jahren wird als politischer Triumph Obamas in die Geschichte eingehen, wird ihm helfen, seine Wiederwahl zu gewinnen. Die mehrfach verfilmten 38 Minuten von Abbottabad sind der perfekte Schlusspunkt der Rache für 9/11. Wer dem Narrativ vom Superschurken folgt, der al-Qaida gründet, Afrika, den Nahen Osten und schließlich Amerika mit Anschlägen überzieht, für den wird der Tod Bin Ladens das dramaturgisch plausible Ende des Terrors markieren.

Doch diese Vorstellung vom Drahtzieher ist ein Plot, der die Wirklichkeit zwar überschaubarer macht, aber mitnichten so sehr beeinflusst, wie die Überhöhung Bin Ladens einen glauben lässt.

Al-Qaida hat aus vielen Gründen floriert und ist ebenso schon lange im Niedergang, während die Welt nach Bin Laden sucht, der sich in Abbotabad kaum aus dem Haus traut. Die angekündigten und befürchteten Racheakte nach seinem Tod werden ausbleiben. Fatale politische Fehler der US-Herrschaft im Irak werden den Aufstieg des »Islamischen Staates« begünstigen, der wenige Jahre nach Bin Ladens Tod al-Qaida wie eine Amateurtruppe in Sachen dschihadistischer Machtergreifung aussehen lassen wird.

Bin Laden ist tot, die Taliban sind wieder da

Pünktlich zum Jahrestag der gefeierten Hinrichtung von Abbottabad räumt Obamas ehemaliger Vize und heutiger Präsident Joe Biden ein, dass die USA ebenso grandios scheitern gegen Kräfte, die man nicht erschießen kann: Am 1. Mai hat der Abzug der Amerikaner (und damit auch aller anderen Nato-Truppen) aus Afghanistan begonnen. Bis zum 11. September soll er abgeschlossen sein. Verhandelt wurde er von Bidens Vorgängerregierung exklusiv mit den Taliban, nicht mit der afghanischen Regierung in Kabul.

Zehn Jahre nach dem Tod ihres Gastes Bin Laden, den die Fundamentalisten-Herrscher in Kabul jahrelang beschützt hatten, knapp 20 Jahre nach ihrer Vertreibung von der Macht innerhalb von drei Wochen, erkennt Washington die Verlierer von damals als Sieger von heute an. Ein paradoxes Jubiläum.

Auch in Afghanistan haben die USA jahrelang einen Taliban-Kommandeur nach dem nächsten umgebracht. Aber den langsamen Absturz des Landes, die wieder anwachsende Macht der Taliban konnten sie nicht stoppen. Ebenso wenig, wie der rasche Sieg gegen Saddam Husseins Regime 2003 den Irak anschließend zu einem funktionierenden Staat werden ließ.

Die Welt ist ohne Bin Laden sehr wahrscheinlich ein besserer Ort als mit ihm. Aber der Glaube täuscht, Terror und Feindschaft ließen sich besiegen, indem man die Anführer umbringt.

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