Osama bin Laden: der meistgehasste und meistbewunderte Terrorist (2024)

Osama bin Laden: der meistgehasste und meistbewunderte Terrorist (1)

Mit den Angriffen des 11.September 2001 schockierte er die Welt. Viele Muslime hatten den Milliardärssohn aus Saudiarabien anfangs jedoch dafür bewundert, dass er die Weltmacht USA herauszufordern wagte. Danach war er ständig auf der Flucht und isoliert, bis er vor zehn Jahren in Pakistan aufgespürt und erschossen wurde.

Andrea Spalinger

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Vor zehn Jahren wurde Usama bin Ladin von einem amerikanischen Spezialkommando in seinem Versteck in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad aufgespürt und erschossen. Für die Amerikaner war die riskante nächtliche Aktion ein grosser Triumph. Sie hatten fast zehn Jahre gebraucht, um den Drahtzieher der Anschläge des 11.September 2001, bei denen fast 3000 Personen ums Leben gekommen waren, zu finden.

Präsident Barack Obama zeigte sich bei der Verkündung des Todes des 54-jährigen Gründers von al-Kaida sichtlich erleichtert, für einen derart historischen Moment aber doch ungewöhnlich zurückhaltend. Seine Administration bemühte sich darum, Triumphalismus zu vermeiden, und liess den «Staatsfeind Nummer eins» eher lautlos verschwinden. Es wurden nicht einmal Fotos von dessen Leiche veröffentlicht.

Charisma und Bescheidenheit

Nachdem bin Ladin eindeutig identifiziert worden war, wurde sein Leichnam von einem Flugzeugträger ins Arabische Meer geworfen. Washington wollte verhindern, dass sein Grab zu einem Pilgerort für islamistische Extremisten wurde. Das Haus, in dem der Terroristenchef seine letzten Lebensjahre mit drei Ehefrauen und mehreren Kindern und Enkeln verbracht hatte, wurde von den pakistanischen Behörden später ebenfalls abgerissen.

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Während bin Ladin für die westliche Welt der Inbegriff des Bösen war, sahen viele Muslime in ihm anfangs einen Helden, der ihre Interessen gegen den imperialistischen Westen verteidigte. Bei seinem Aufstieg zum «Verteidiger der Muslime» halfen ihm seine bescheidene Art und sein Charisma. Er konnte die Leute für sich einnehmen und sein Gedankengut auch einfacheren Menschen vermitteln. Dass er aus sehr privilegierten Verhältnissen stammte und freiwillig auf Annehmlichkeiten und Luxus verzichtete, trug zum Heiligenmythos bei. Der gebildete Saudi gab sich als Asket mit weissem Turban und langem Bart. Meist trug er eine einfache weisse Kutte oder einen abgewetzten Tarnanzug.

Geboren wurde Usama 1957 in Riad als siebzehntes von über fünfzig Kindern eines schwerreichen Bauunternehmers. Die Familie pflegte enge Beziehungen zum saudischen Königshaus, die Söhne besuchten die besten Schulen und Universitäten. Im Gegensatz zu anderen Sprösslingen des Clans hatte Usama nie in den USA studiert oder gelebt, was seine antiwestliche Haltung begünstigt haben dürfte. Er studierte Betriebsökonomie in Jidda, wo er erstmals in Kontakt mit islamistischen Fundamentalisten kam und sich für deren Ideologie zu begeistern begann.

Vom Wirtschaftsstudenten zum Mujahedin

Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 beginnt der junge Saudi, die Mujahedin mit finanziellen Mitteln und Waffen zu unterstützen. Die Invasion stellt aus seiner Sicht eine Aggression gegen den Islam dar. Er zieht nach Peshawar und macht sich einen Namen als grosszügiger Geldgeber wie auch als zupackender Logistiker. In den folgenden Jahren rekrutiert er arabische Kämpfer für den Jihad am Hindukusch und baut dabei eine wertvolle Datenbank mit Namen von Extremisten aus aller Welt auf, die ihm später als Grundlage für die Kaida dient. Tatkräftig unterstützt wird der afghanische Widerstand damals übrigens auch von den USA.

Nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan 1989 kehrt er nach Saudiarabien zurück und wird als Kriegsheld gefeiert. Als sich Riad im zweiten Golfkrieg an einem von den USA angeführten Militärbündnis beteiligt, kommt es zum Bruch mit dem Herrscherhaus. Bin Ladin ruft zum Kampf gegen die wachsende Einflussnahme der USA in der muslimischen Welt auf. Er wirft Washington vor, autokratische Regime zu stützen und die natürlichen Ressourcen im Nahen Osten auszubeuten. Er träumt davon, die bestehende Ordnung umzustürzen und einen grossen islamischen Staat zu errichten.

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1994 entzieht Saudiarabien bin Ladin die Staatsbürgerschaft und friert sein Vermögen ein. Der Clan schliesst den verlorenen Sohn offiziell aus dem milliardenschweren Familienunternehmen aus.

Aus Saudiarabien und dem Sudan verbannt

Usama lässt sich im Sudan nieder und beginnt dort, islamistische Extremisten auszubilden. Als er auf amerikanischen Druck hin 1996 auch aus dem Sudan ausgewiesen wird, kehrt er zurück nach Afghanistan, das mittlerweile weitgehend von den Taliban kontrolliert wird. Unter deren Schutz erklärt er den USA den «heiligen Krieg». Aufsehenerregende Terrorangriffe seiner Kaida auf die US-Botschaften in Kenya und Tansania 1998 fordern 224 Menschenleben. Einem Selbstmordanschlag auf das Kriegsschiff USS «Cole» im Hafen von Aden fallen 17 Soldaten zum Opfer.

Indem er die Weltmacht herausfordert, wird bin Ladin zur Ikone vieler frustrierter junger Muslime von Marokko bis Indonesien. Auf Postern in Peshawar ist zu lesen: «I love Osama bin Laden». Im Nordwesten Pakistans wird Usama zum populärsten Namen für Neugeborene. Auch unzählige Firmen und Läden werden nach ihm benannt. Um die Jahrtausendwende verfügt seine Kaida über ein weltweites Netz von Tausenden von radikalisierten Anhängern.

Mit den Anschlägen von 9/11 erreicht die Popularität des Kaida-Chefs ihren Höhepunkt. In den Augen seiner Bewunderer hat dieser mit dem unvergleichlichen Terrorakt die allmächtigen USA in die Knie gezwungen. Dass er damit unweigerlich auch eine harte Reaktion des vollkommen schockierten Gegners und den Beginn eines neuen Kulturkampfes provoziert, die grosses Leid über viele unschuldige Muslime bringen werden, steht damals nicht im Fokus. Laut einer Studie des Pew Research Center 2003 gibt eine deutliche Mehrheit der Befragten in grossen muslimischen Ländern wie Indonesien, Nigeria oder Pakistan an, dass sie das politische Urteil von bin Ladin teilen und die USA als Bedrohung für den Islam sehen.

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Die Taliban weigern sich, den Kaida-Chef auszuliefern, mit dem Argument, dass dies ihrem Kodex der Gastfreundschaft widerspreche. Die grosse Popularität bin Ladins in der Region und dessen persönliche Beziehung zum Taliban-Chef Mullah Omar dürften dabei aber ebenfalls eine Rolle spielen. Die beiden kennen sich aus Mujahedin-Zeiten, und Mullah Omar ist mit der ältesten Tochter bin Ladins verheiratet.

Am 7.Oktober 2001 starten die USA mit Nato-Verbündeten eine Offensive gegen die Kaida und deren Unterstützer in Afghanistan. Bis Ende des Jahres werden die Taliban aus weiten Teilen des Landes vertrieben. Bin Ladin entkommt im Dezember bei einem Angriff auf den Höhlenkomplex Tora Bora. Danach ist er konstant auf der Flucht und verschwindet zunehmend aus der öffentlichen Wahrnehmung.

Die USA suchen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet weiter nach ihm. Der Terroristenchef versteckt sich aber offenbar in unverdächtigeren Gegenden Pakistans. Amal Ahmed al-Sadah, die jüngste Frau Usamas, eine Jemenitin, die im Jahr 2000 noch als Teenager mit diesem verheiratet wurde, wird nach der Ermordung ihres Mannes zu Protokoll geben, dass sie sich in Peshawar, im Swat-Tal, in Haripur und ab 2005 in dem Komplex in Abbottabad aufgehalten hätten.

Ein harter und erbarmungsloser Vater

Insgesamt hatte der Kaida-Chef vier Ehefrauen und zwanzig Kinder. Laut Berichten von Familienangehörigen war er ein erbarmungsloser Vater. Der Jihad war ihm wichtiger als das Wohl der Familie. Viele seiner älteren Kinder zogen sich als Erwachsene deshalb aus seinem Umfeld zurück. Sein Lieblingssohn Hamza, den er zum Nachfolger erkoren hatte, blieb den Idealen des Vaters als Einziger über dessen Tod hinaus treu. Er wurde 2019 im Alter von 30 Jahren bei einem Anti-Terror-Einsatz im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet getötet.

Die erste Ehefrau, Najwa Ghanhem, war Usamas Cousine und hatte diesen geheiratet, als sie 15 und er 17 Jahre alt war. Sie gebar ihm elf Kinder und liess sich 2001 von ihm scheiden. Ihr Sohn Omar beschreibt im Buch «Growing up bin Laden», dass der Vater die Söhne zu langen Märschen in der Wüste gezwungen habe, damit sie lernten, ohne Wasser zu überleben. Im sudanesischen Exil sei er immer paranoider geworden und habe auch Frauen und Kleinkinder zu solchen Überlebenstrainings mitgenommen.

Omar kehrte dem Vater 1999 den Rücken, nachdem ihm dieser in Afghanistan vorgeschlagen hatte, sich als Selbstmordattentäter für die Sache einzusetzen. «Mein Vater hat seine Feinde mehr gehasst, als er seine Söhne liebte», lautet sein trauriges Urteil.

Auch in Abbottabad hat bin Ladin noch einen Teil seiner Familie um sich. Als das Navy-Seal-Team in der Nacht auf den 2.Mai 2011 das Haus stürmt, befinden sich dort neben seiner jüngsten Frau Amal und zwei älteren saudischen Gattinnen mehrere kleinere Kinder und Enkelkinder bin Ladins sowie eine ältere Tochter und ein erwachsener Sohn, der bei der Operation ums Leben kommt.

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Schon Jahre vor seinem Tod hat bin Ladin in der muslimischen Welt an Popularität verloren. Attentate seiner Gefolgsleute in Pakistan oder im Irak kosteten viele muslimische Zivilisten das Leben, und der Kaida-Terror begann selbst naive einstige Bewunderer abzuschrecken. In gewissen Kreisen in Pakistan wird bin Ladin zwar bis heute als «Freiheitskämpfer» gefeiert, und Ministerpräsident Imran Khan schien dieses Publikum zu bedienen, als er ihn im vergangenen Sommer als «Märtyrer» bezeichnete. Auch die meisten Pakistaner sehen den Kaida-Chef heute aber als Terroristen, in dessen Namen viele unschuldige Menschen getötet wurden und der damit auch gegen die Lehren des Islams verstiess.

Isolation und Bedeutungsverlust nach 9/11

Nach 2004 nimmt bin Ladin in seinen Verstecken wieder regelmässiger Videobotschaften auf. Seine hasserfüllten Stellungnahmen werden aber immer kryptischer. Die letzten fünf Lebensjahre verbringt er völlig abgeschottet von der Aussenwelt. Er und seine Angehörigen verlassen das Haus in Abbottabad nie. Aus Sicherheitsgründen gibt es dort auch kein Internet und keinen Telefonanschluss. Wenn bin Ladin Nachrichten überbringen oder empfangen will, ist er auf die Hilfe zweier Paschtunen angewiesen, die als seine Kuriere und Beschützer fungieren und mit ihren Familien im selben Komplex leben.

Laut Aussagen von Mitbewohnerinnen ist bin Ladin bis zuletzt über das Weltgeschehen informiert. Er schaut sehr viel fern und liest politische Bücher. In seinem Haus werden nach der Erstürmung grosse Mengen an Dokumenten, Festplatten und anderen Beweisstücken beschlagnahmt.

In seinem Tagebuch und in Briefen behauptet bin Ladin bis zum Schluss, dass der «heilige Krieg» gelinge und die USA zum Scheitern verurteilt seien. Doch die islamische Revolution, zu der er mobilisieren wollte, findet nicht statt. Anfang 2011 äussert sich der Kaida-Chef zwar begeistert über die Aufstände des Arabischen Frühlings. Für die jungen Leute, die in Nordafrika und im Nahen Osten in Massen auf die Strassen gehen, ist er aber irrelevant. Sie fordern keinen islamischen Staat, sondern persönliche Freiheiten und Demokratie.

Bis zuletzt ein Medien-Junkie

Bin Ladin dürfte unter seiner Isolation und seinem Bedeutungsverlust schwer gelitten haben. Offiziell fungiert er zwar noch immer als Chef von al-Kaida, er kann aber kaum mehr Einfluss auf das Tagesgeschäft nehmen. Der eitle Terrorist schwelgt in Abbottabad in Erinnerungen und interessiert sich mehr denn je für sein Image. Auf seinem Computer finden die Ermittler nach seinem Tod zahlreiche Dokumentarfilme und Artikel über ihn selbst.

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Ehemalige Schulkameraden haben Biografen erzählt, Usama sei schon als Jugendlicher ein Nachrichten-Junkie gewesen und habe ständig vor dem Fernseher gesessen. Er dürfte also schon während der aufsehenerregenden Geiseldramen der siebziger Jahre die Macht des Medienspektakels erkannt haben, deren er sich 2001 wie keiner vor ihm bediente. Bei allem, was bin Ladin tat, achtete er sorgfältig darauf, dass es richtig inszeniert wurde – ob es nun um Geldbeschaffung oder Terrorakte ging. Insofern hat Barack Obama, als er den Terroristenchef vor zehn Jahren ohne Pomp und Getöse ins Meer werfen liess, wohl genau das getan, was diesen am meisten geärgert hätte.

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Andrea Spalinger, Delhi

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